Gerade eben erreichte uns die Nachricht, dass die Elbphilarmonie das Konzert des Mariinski-Orchesters aus St. Petersburg unter der Leitung des Putin-Freundes Valery Gergiev abgesagt hat. Dieser Entscheidung sind Proteste anlässlich der russischen Invasion in die Ukraine vorausgegangen.
Das Konzert war auch schon vor dem Ausbruch des nun offenen Kriegs Russlands gegen die Ukraine hochgradig umstritten gewesen, weil der Stardirigent Gergiev dafür bekannt ist, nicht nur Putin-Freund zu sein, sondern auch dafür, dass er offen die Annexion der Krim befürwortet und sich auch von dem russischen Eroberungskrieg gegen die Ukraine nicht distanziert. Auch seine Stelle als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker war daher schon vorher Gegenstand von Kritik gewesen, bevor sich die Stadt München heute ebenfalls aus den obigen Gründen entschied, Gergiev von seiner Aufgabe zu entbinden.
Diese Nachrichten überschnitten sich mit der Veröffentlichung eines von vielen ukrainischen Musikern aus dem norddeutschen Raum unterzeichneten offenen Briefes, in dem Generalintendant Christoph Lieben-Seutter aufgefordert wurde, das Konzert des Putin-Aushängeschilds abzusagen. Hier ist der Brief im Wortlaut, gefolgt von der Liste der Unterzeichner:
Sehr geehrter Herr Lieben-Seutter,
während Russland die Ukraine – unsere Heimat – vom Wasser und vom Boden beschießt und aus der Luft bombardiert, während unsere Familienmitglieder, Kollegen, Freunde und Landsleute getötet und verwundet werden, in provisorischen Luftschutzräumen ausharren und massenhaft auf der Flucht sind, schreiben Sie
Es darf Putin nicht gelingen, uns die russische Kultur zu verleiden und uns dazu zu bringen, russische Künstler generell zu boykottieren. Ich hoffe sehr, dass auch Valery Gergiev, ein wichtiger künstlerischer Partner und langjähriger Freund der Elbphilharmonie, dieser Tage ein Zeichen der Distanzierung von dem Überfall Russlands auf die Ukraine setzen wird. Andernfalls werden die für die Osterwoche geplanten Konzerte des Mariinski-Orchesters aus St. Petersburg in der Elbphilharmonie nicht unter seiner Leitung stattfinden können. Im Übrigen sollten wir gerade jetzt auf die völkerverbindende Kraft von Musik, Theater und anderen Künsten bauen, denn dieser Krieg ist kein Krieg des russischen Volkes.
Vor dem Hintergrund dieser Aussage erscheint das Erstrahlen der Elbphilharmonie in den Farben unserer Landesfahne als blanker Hohn. Es ist nicht nur unsere Heimat, die wir Ukrainer gegen Russland mit unserem Leben verteidigen, es sind Werte, wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit, und auch die Freiheit der Kunst, die weit mehr sind als nur Grundpfeiler der europäischen Gesellschaftsordnung: auch die europäische Musiktradition ruht in unseren Augen auf diesem Fundament. Diese Prinzipien werden von Russland jahrelang systematisch mit Füßen getreten – nicht nur durch Waffengewalt in der Republik Moldau, Georgien, Syrien und der Ukraine, auch europa- und weltweit, etwa durch Cyberangriffe und gezielte Desinformationsattacken.
In diesem sowohl “hybriden” als auch heißen Krieg ist Valery Gergiev ein loyaler Kämpfer an Putins Seite. Ihr “wichtiger künstlerischer Partner und langjähriger Freund” hat Putin im Wahlkampf unterstützt, er hat seine Befürwortung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim öffentlich bekundet. Das Orchester des Mariinski-Theaters hat in der Vergangenheit unter Leitung eben jenes Valery Gergiev auf der von Russland okkupierten Krim gastiert, was eine eklatante Missachtung des Völkerrechts darstellt. Egal, wer sich jetzt noch wovon distanziert, kann man einfach nicht anders, als ein Konzert dieses Orchesters unter dieser Leitung als reine Propagandaveranstaltung, als Soundtrack zu den russischen Bomben, zu betrachten.
Sehr geehrter Herr Lieben-Seutter, wir, die Erstunterzeichner, sind schon Gäste auf den Bühnen beider Ihrer Häuser gewesen. Wir durften Sie als kompetenten Gastgeber und die Hamburger als geneigte Zuhörer kennenlernen. Wir weigern uns zu glauben, dass Sie und Ihr Publikum das Renommee der russischen Kunst über das Leben der ukrainischen Menschen stellen wollen.
Es gibt keine Kunst ohne Kontext. Der russische Krieg ist heute der alleinige Kontext russischer Kunst. Wir fordern Sie auf, ein klares und starkes Zeichen gegen den Krieg und für unsere freiheitlich-demokratischen Werte zu setzen. Verzichten Sie auf jeglichen kulturellen Austausch mit dem Land, das Krieg gegen unsere und Ihre Heimat führt. Solange russische Waffen sprechen, muss die russische Musik verstummen.